Ganz schön lecker : Vanillekipferl, Mailänderli und Vorbereitungen auf die Weihnachtszeit
Katharina Stricker – Freiwillige in Hermannstadt 2020-2021
Ich empfange eine Nachricht: „Daţi-mi vă rog patru bucăţi de hencleş.“. „Geben Sie mir bitte vier…“ kann ich aus dem Stegreif übersetzen, für den Rest werde ich wohl später das Internet bemühen müssen. Ich lege das Handy beiseite und widme mich wieder meiner Aufgabe. Weihnachtsdekoration basteln für die Fenster, die auf den Huet Platz zeigen, um ein wenig Weihnachtsstimmung in dieser recht unweihnachtlichen Zeit zu verbreiten und um den Passanten zu verdeutlichen, dass es hinter dieser geschlossenen Fassade Bewegung gibt. Denn wie bei allen Gebäuden in Sibiu bekommt man von außen nur sehr schwer einen Einblick in das, was hinter dem massiven Tor verborgen ist, an dem nicht abzulesen ist, wer dahinter wohnt, und an dem auch keine Klingel hängt. Wer eine Person besuchen möchte, die er telefonisch nicht erreichen kann, bleibt oftmals drei bis vier Meter vor seinem Ziel stehen und sieht sich einer unüberwindbaren Hürde gegenüber. Gerne auch gut bewacht von einem Wachhund, der seinen Job ernster nimmt, als mancher Mitarbeiter. Diese Erfahrung haben wir schon einige Male machen dürfen, als wir für die Diakonie der evangelischen Kirchengemeinde Hermannstadt Päckchen mit verschiedenen Lebensmitteln an die Senioren verteilt haben. Aber nicht immer treffen wir auf verschlossene Türen. Eine Dame, der wir ihr Paket bringen und bei der wir uns bei der Gelegenheit auch in einem kurzen Gespräch nach ihrem Befinden erkundigen, machte einen derart liebenswürdigen und interessierten Eindruck, dass ich mich auf das Ende der Corona-Pandemie freue, um Sie etwas näher kennen zu lernen. Und auch die anderen Senioren, empfingen uns immer sehr offen und interessiert.
Ich lege die Schere beiseite und schaue auf die Uhr. Es ist 17 Uhr, für heute haben wir genug getan. Wir werden nach dem Wochenende damit fertig werden. Ich räume sämtliche Papierschnipsel beiseite und überlege, wie ich die Zeit bis zum Abendessen verbringen möchte. Ich könnte weiter am Weihnachtsgeschenk für meine Eltern arbeiten. Ich könnte lesen. Ich könnte Orgel üben. Wobei… die Orgel, die ich immer nutze, steht in einem Nebenraum eines Fotostudios zwei Häuser weiter. Eigentlich gehe ich lieber früh morgens oder spät abends üben, weil dann niemand dort arbeitet und ich mich besser konzentrieren kann. Aber ich weiß auch, dass ich selten unter einer dreiviertel Stunde an der Orgel sitze und dann habe ich keine Zeit mehr für die anderen Dinge, die ich gerne tun möchte. Sport zum Beispiel. Der fehlt mir hier, denn auch wenn ich zu Hause auch nicht immer in Bewegung war bin ich doch fast drei Viertel des Jahres täglich eine halbe Stunde mit dem Fahrrad zur Schule gefahren und wieder zurück. Hier muss ich, sofern ich zum Arbeiten nicht in einen der Gärten fahre, morgens entweder nicht mal unsere Küche verlassen oder nur ein Stockwerk hinabsteigen, beziehungsweise die fünf Meter von unserem Tor zur Kirche zurücklegen. Das ist der Vorteil, wenn man direkt oberhalb seiner Einsatzstelle wohnt. Ein anderer Vorteil ist die Nähe zu unserem Chef, oder besser: zu seiner Tochter. Als wir am letzten Sonntag vor der Adventszeit in der Stadtpfarrkirche ein Konzert aufnahmen, lernten wir sie näher kennen als sie ebenfalls eine der Kameras bediente. Während wir den Akkus beim wieder aufladen zusahen (das ganze hat fast vier Stunden gebraucht, da macht so ein Akku zwischendrin mal schlapp), haben wir ihr von unserem Plan erzählt, dass an diesem Wochenende für uns die Weihnachtszeit beginnen soll, und wir deshalb am folgenden Tag Plätzchen backen wollen. Kurzerhand haben wir sie eingeladen, doch mitzumachen und sie hat sich uns angeschlossen.
Der Abend endete (wie manch anderer darauffolgende Tag auch) mit drei bis vier großen Tellern voller Weihnachtsgebäck und uns dreien, wie wir uns mitten in der Nacht endlich davon überzeugen konnten, dass sich hinter Schlaf ein sehr sinnvolles Prinzip verbirgt. Vor allem Sonntags. Seitdem haben wir schon viele Abende so, oder so ähnlich miteinander verbracht. Wir haben ewig in der Küche gesessen und geredet. Wir sind nachts auf die Piaţa Mare gerannt, als zum ersten Mal die Weihnachtsbeleuchtung angeschaltet wurde. Wir haben uns gemeinsam beim Dehnen gequält und uns gegenseitig die Haare gefärbt. Und was bei mir besonders hängen geblieben ist: Ich habe einiges gelernt über das rumänische Schulsystem, die rumänische Polizei und welche Möglichkeiten man hier hat, verglichen zu denen, die ich in meiner Schulzeit hatte.
Mittlerweile hat Paula, meine Mitbewohnerin und Köchin des heutigen Abends, gekocht. Es gibt Risotto. Während wir essen überlegen wir, wie wir das Wochenende verbringen werden. Wir wollen noch mal backen. Dieses Mal erneut Mailänderli und die erste Fuhre Vanillekipferl. Für Springerle, meine Lieblingsplätzchen haben wir leider nicht die richtigen Formen. Aber auch die Vanillekipferl haben uns vor eine Herausforderung gestellt. Wir wollten sie eigentlich schon das erste Mal backen, aber wo wir auch suchten, wir fanden keine gemahlenen Mandeln. Aus lauter Verzweiflung habe ich schließlich meine Eltern gebeten mir Mandeln zu schicken, denn auch als ich unseren allabendlichen Gast danach gefragt habe, erntete ich nur Verwirrung: „Was für Mandeln?“ „Gemahlene.“ „Da habe ich noch nie was von gehört. Was soll das sein?“.
Und wie wir später feststellen durften, sind nicht nur gemahlene Mandeln schwer zu bekommen. Auch nach unseren sahne-ähnlichen Produkten haben wir sehr genau suchen müssen. Quark ist hier maximal als mitteleuropäisches Importprodukt zu finden und ehe man hier auf Apfelmus oder Artischocken stößt ist auch schon wieder ein ganzer Monat vergangen. Wie erleichtert waren wir, als wir zumindest Apfelmus im deutschen Laden vorfanden, den wir bis dahin versucht hatten zu vermeiden.
„Wir machen es immer selber, in Rumänien kennt man so etwas nicht“ wurde uns von der Frau unseres Pfarrers erklärt. Die Gärten der Gemeinde bieten dazu tatsächlich allerhand Möglichkeiten. Vieles wird dort, nach Möglichkeit unter Permakultur Kriterien, angepflanzt und landet dann in Obstkörben im Hof des Pfarrhauses am Huet Platz. Noch ziemlich zu Beginn unseres Aufenthaltes hier haben wir an mehreren Tagen Trauben geerntet und zu Saft verarbeitet. Wir durften davon einen Teil selber trinken, doch weil wir beide keine großen Safttrinker sind, wollte ich ihn zu Traubengelee weiterverarbeiten. Doch bis dahin hatte ich die rumänischen Supermärkte noch überschätzt. Nachdem ich in allen Supermärkten vergeblich nach Gelierzucker gesucht hatte gab ich auf. Erst jetzt weiß ich, wo ich welchen gefunden hätte, nämlich im deutschen Laden.
Was ich jetzt auch weiß ist, was der rumänische Satz heißt, den mir die Dritte in unserer Runde vor einiger Zeit geschickt hat. Weil wir noch keinen richtigen Sprachkurs haben, mich aber ärgert, wie wenig rumänisch ich bisher spreche, habe ich sie gebeten mir täglich einen Satz zum übersetzen zu schicken. Nach ein wenig Recherche habe ich erfahren, dass „hencleş“ das rumänische Wort für Hanklich ist, einer rumänischen Süßspeise aus Hefeteig, die ich das erste Mal gekostet habe, als wir bei ihnen zum Essen eingeladen waren.
„Geben Sie mir bitte vier (Stück) Hanklich.“ antworte ich und wenig später erreicht mich ein Daumen hoch.