Die Tops und Flops meines IFDs in Namibia

Lukas Englert – Freiwilliger bei SunCycles Namibia seit Mai 2023

Hallo an alle! Ich bin Lukas, 23 Jahre alt und zur Zeit in Namibia bei SunCycles Freiwilliger. Durchlebt hier mit mir nochmal meine Tops, Flops und Erkenntnisse der letzten 9 Monate.

 

Ganz kurz vorweg, Namibia ist für mich ein Land der großen Vielfalt und ich erlebe meinen Alltag als Gratwanderung zwischen den verschiedenen Gegensätzen. Mein Leben hier findet zwischen Wüste und Meer, Stadt und Land, arm und reich, Tradition und Verwestlichung und den 10 Tribes von Namibia statt. Ich hoffe, ich kann zumindest einen kleinen Eindruck davon durch meine Rankings vermitteln.  Anfangen möchte ich mit den Top 3 überraschenden Beobachtungen und Begegnungen.

 

Platz 3: Furiose Fahrradcommunity.

Meine Einsatzstelle SunCycles ist das Sustainable Mobility Start Up Namibias schlechthin. Bei SunCycles dreht sich alles um Zweiräder, wir bieten zum Beispiel günstige Fahrradausleihe für PendlerInnen, elektrische Mountainbikes im Einsatz gegen Wilderei oder selbst produzierte Lastenräder für den eigenen Lieferdienst. Durch die Arbeit wurde ich so schnell in die Fahrradcommunity von Windhoek, der Hauptstadt Namibias, aufgenommen.  Diese ist zwar nicht besonders riesig, weil das Fahrrad in Namibia keine große Lobby hat und der Fokus klar auf dem Auto liegt. Es gibt exakt zwei Fahrradseitenstreifen in ganz Windhoek, der Hauptstadt Namibias, und dementsprechend wenige RadlerInnen. Die Gemeinschaft ist aber umso größer. Auf der Straße winkt man allen FahrradkollegInnen zu, jeden zweiten Samstag gibt es eine Gruppenfahrt durch Windhoek, abgesichert von der Fahrradstaffel der Polizei. Man kennt sich, unterstützt sich und wird schnell aufgenommen in die Fahrradcommunity, egal ob man noch das schalten bergauf üben muss oder fast schon professionell Rennen fährt. Und das glaube ich erlebt jede und jeder so, nicht nur ich, der in dem Mobility Start Up arbeiten darf, das mit seinem nachhaltigen Lieferdienst alleine geschätzt für 50% aller Radfahrten in Windhoek verantwortlich ist.

 

Platz 2: Wetter.

Ich hatte definitiv ein sehr naives Bild von Namibia, das hat sich auch beim Wetter gezeigt. Das Wetter ist definitiv ein Bereich in dem es viele Gegensätze gibt, die ich so ehrlich gesagt nicht erwartet habe. An der Küste ist es natürlich kälter und feuchter als ihn Windhoek. Für mich war es jedoch klar, in Windhoek ist immer 30 Grad und Sonnenschein. Das hat mich dann kalt erwischt, als ich ohne Jacke, Handschuhe und Mütze, bei Minusgraden, zur Arbeit radeln musste. Tagsüber scheint schon meistens die Sonne und es wird wärmer, im Winter wird es nachts aber schon auch sehr kalt. Der Sommer (besonders der Dezember) hatte dann die nächste Überraschung parat. Es hagelt, gewittert und hat Sturzregen in Windhoek.

 

Platz 1: WM Weitsicht.

Eine Beobachtung außerhalb der Arbeitswelt und losgelöst von den geographischen Bedingungen: Fußball beschäftigt hier viele. Viele spielen selbst und schauen gerne Fußball, auch Champions-League und so. Die WM war dann auch ein großes Thema. Der Erfolg von Marokko wurde richtig gefeiert in Namibia, weil „Afrika“ so weit gekommen ist, auch wenn Marokko näher an Deutschland ist als an Namibia. Aber viele aus meinem direkten Umfeld identifizieren sich nicht nur sehr mit ihrem Tribe oder Namibia, sondern auch mit Afrika. Viele sind sehr stolz darauf AfrikanerIn zu sein und zeigen das auch, nicht nur bei Fußballturnieren. Der Umriss des afrikanischen Kontinents ziert viele Ketten, Shirts und Ohrringe und in vielen Gesprächen wird allgemein von Afrika gesprochen.

 

 

Nach der wilden Mischung von verschiedenen Beobachtungen, geht es mit der nächsten Kategorie leider steil bergab. Die ein oder andere böse Überraschung gab es nämlich auch bei meinem Freiwilligendienst. Generell hatte ich bis jetzt eine überragende Zeit, die definitiv sehr positiv in Erinnerung bleibt. Trotzdem haben mich manche Sachen angekotzt und ehrlich gesagt konnte ich nicht allen in der folgenden Liste etwas Gutes abgewinnen oder daraus lernen. Hier also meine größten Flops der letzten 9 Monate:

 

Platz 5: Französisches Filmfestival.

Windhoek bietet viele kostenlose Kulturveranstaltungen, manchmal auch mit europäischen Institutionen als GastgeberInnen. Das deutsche Goethe Institute hostet zum Beispiel einmal monatlich einen Poetry Slam. Im französischen Franco-Namibian Culture Centre, das nur 200 Meter von unserer Wohnung entfernt ist, wird einmal im Monat ein (klassischer) französischer Film gezeigt. Es gibt kostenlos Popcorn, der Film ist auf französisch mit englischen Untertiteln. Aber genau an dem Tag, als wir uns mal kulturell fortbilden wollten, haben sie nicht funktioniert. Das kam aber erst raus, als wir schon drin saßen und das Popcorn aufgemacht hatten. Also haben wir die 3 Stunden einen Film geschaut und nichts verstanden. Außerdem war das Popcorn eher nur mittelmäßig.

 

Platz 4: Wäsche waschen.

Auf der Arbeit bin ich immens viel Dreck ausgesetzt. Zusätzlich ist mein Sonnencremeverbrauch erhöht und verursacht viele Flecken auf meinen Klamotten. Ungünstig, dass unsere Wohnung keine Waschmaschine hat. Also wird alles per Hand in der Badewanne gewaschen. So richtig weiß sind meine Klamotten nicht mehr, aber ich habe auf jeden Fall gelernt strikt in Arbeits-, Ausgeh- und Zuhause- Klamotten zu trennen, um Dreckwäsche zu minimieren.

 

Platz 3: Meine Tanzkünste.

In meinem Alltag hier bin ich viel mehr Tanzen und Musik ausgesetzt als jemals zuvor. Und Menschen in meinen Umfeld hier können auch extrem gut tanzen und haben ein sehr gut ausgeprägtes Körpergefühl. Den ein oder anderen Move wurde mir auch schon versucht beizubringen, aber ich fürchte ich brauche da professionelle Hilfe.

 

Platz 2: Fahrraddiebstahl.

Von meiner Arbeitsstelle habe ich eine praktische und tolle Leihgabe bekommen: Ein E-Bike mit dem ich den hügeligen Weg zur Arbeit jeden Tag mit links angehen konnte. Umso größer war der Schock, als es eines morgens nicht mehr aufzufinden war. Obwohl wir in einem sicheren Wohnhaus mit Elektrozaun untergebracht sind, ich es immer versteckt und angeschlossen hatte, wurde mein Fahrrad eines Nachts geklaut. Unfassbar, nach ein paar Monaten ist es, auch dank der Fahrradcommunity, die so gut zusammenhält und die Ohren und Augen gespitzt hatte, wieder aufgetaucht.

 

Platz 1: Wasserschaden.

Generell geht es wenig feucht in Windhoek zu, bei dem letzten Starkregen vor Weihnachten kamen allerdings 20% des Jahresniederschlages innerhalb von weniger Stunden runter. Das hat dann so geendet, dass 5cm Wasser in allen Räumen unserer Wohnung standen, inklusive Matsch. Nach 2 Tagen Putzen und Aufräumen war dann alles wieder im Lot. Im Wüstenklima mit einem Wasserschaden konfrontiert zu sein, habe ich auf keinen Fall antizipiert, auch andere hat es damit unerwartet erwischt. Eine Shopping Mall im Stadtzentrum stand zum Beispiel auch unter Wasser.

 

Und jetzt zurück zu den schönen Seiten des Lebens. Mir ist es schwer gefallen hier einzelne Highlights herauszusuchen. Ich bin natürlich krass privilegiert, weil ich mir keine Sorgen um Geld für Essen, Wohnen, Lebensunterhalt oder sogar Reisen machen muss und niemals musste. Und weil ich weiß, dass ich ein super gutes, fürsorgliches, gesundes und sorgenfreies Umfeld habe und immer hatte. Allein schon deswegen, aber auch darüber hinaus ist die Grundstimmung in meinem Freiwilligendienst aber einfach meistens positiv. Ein paar Highlights stachen aber besonders hervor oder sind mir spontan eingefallen, hier also die Tops des Jahres:

 

Platz 5: Sinnvoller Sonnenschutz.

In einem Gespräch mit meiner Chefin hat sie sich gewundert, dass ich jetzt schon so lange da bin und immer noch nicht braun. Ich habe das als das größte Kompliment wahrgenommen. Ich bin nämlich sehr hinterher mich vor der gefährlichen und extremen UV-Belastung zu schützen. Letztens stand die Sonne sogar senkrecht und man merkt richtig, wie sie auf die Haut knallt. Deswegen creme ich mich grundsätzlich ein, trage nur lange Klamotten und Hut und suche immer Schatten. Offensichtlich erfolgreich!

 

Platz 4: Bei der Dragnight erkannt werden.

Die Dragnight Namibia ist ein monatliches Event, bei dem Dragqueens und -kings auftreten. Es ist eine tolle Show mit viel glamour, Kostümen und Musik. Außerdem ist es ein großer Safespace für die queere Community in Windhoek. Die Menschen, die dort hingehen, sind dementsprechend hipp, cool und offen. Ein paar Gesichter kannte ich dort von Anfang an, aber als ich an der Kasse erkannt wurde ist mein Herz wirklich weich geworden.

 

Platz 3: Die ArbeitskollegInnen.

Ich habe mich von Anfang an wohl gefühlt auf der Arbeit. Wichtig in Anbetracht, dass ich dort 9 Stunden am Tag bin, aber auch nicht selbstverständlich. Die PraktikantInnen haben mich sofort aufgenommen und auch in Freizeitsachen mitgenommen, die anderen Kollegen haben auch immer nachgefragt, wie es mir geht, sind extrem rücksichtsvoll und herzlich. Meine KollegInnen und ich leben teilweise in komplett verschiedenen Lebensrealitäten, aber ich glaube, die Begeisterung für Fahrräder haben wir zumindest schonmal gemeinsam und damit eine gute Basis. Es wurde sich auch viel Zeit genommen mir Sachen zu erklären oder Sprachen beizubringen, obwohl ich da leider ein hoffnungsloser Fall bin und nur wenig Fortschritte mache. Aber es wird viel gelacht, auch wenn es mal stressig ist und jeder gibt auf jeden Acht. Ehrlich, das Arbeitsumfeld ist 10/10 gut und ich sehr dankbar dafür.

 

Platz 2: Rundreisen.

Ob mit der Familie oder über Weihnachten mit den Mitfreiwilligen. Die Reisen waren wirklich klasse. Und ich bin dankbar dafür, dass die Reisen immer vielversprechende Inhalte für meinen privaten Blog (www.lukrateef.de) liefern.

 

 

Platz 1: Einen Wambo Spitznamen bekommen.

Kontakte zu finden in Namibia ist nach meiner Erfahrung sehr leicht. Man kommt zufällig immer mit jemandem in ganz unverfängliche Gespräche, tauscht Nummern mit Menschen aus, mit denen man kurz gelacht hat und trifft sich dann vielleicht auch nochmal. So habe ich auch schnell Anschluss gefunden. Richtig angekommen und wirklich verbunden habe ich mich dann gefühlt, als ich einen Wambo-Spitznamen bekommen habe. Der ist nicht traditionell und hat auch keine tiefere Bedeutung, vergessen werde ich das trotzdem niemals.

Als kleines Zwischenfazit kann ich auf jeden Fall festhalten, dass sich mein zugegebenermaßen naives Bild von Namibia sehr geändert hat. Ich bin außerdem extrem dankbar für die vielen unterschiedlichsten Begegnungen und Learnings, die ich erleben durfte.  Es war nicht immer nur leicht, aber meine Mitfreiwilligen, ArbeitskollegInnen, solivol und neuen FreundInnen haben immer Beistand geleistet und somit dafür gesorgt, dass ich eine tolle, unvergessliche Zeit hatte. Jetzt geht es schon in den Endspurt und ich bin zuversichtlich, dass dieser genauso intensiv und überragend wird, wie die so schnell vergangene Zeit.