Namibia und Deutschland – Eine spezielle Beziehung

Benedikt Soffner – weltwärts Freiwilliger 2022-23

„Ihr Deutschen seid uns sehr willkommen! Namibia nennt man auch Deutschlands kleine Schwester. Wir haben Städte, die aussehen wie deutsche Städte. Das ist eure zweite Heimat hier, ein Stück Deutschland in Afrika. Wir haben deutsche Architektur, deutsche Straßennamen, mit der A1 sogar eine deutsche Autobahn! Deutsch ist eine unserer Sprachen.“

Von Deutschnamibier geführt, das Stadtmuseum in Tsumeb
Von Deutschnamibier geführt, das Stadtmuseum in Tsumeb

Das ist ein Zitat von Nangula Uuandja. Er ist Chef des Namibian Investment Promotion and Development Boards. Dieser führte ein Interview mit der Bild-Zeitung, das online dort am 10.12.2022 veröffentlicht wurde. Zusammengefasst ging es um ein neues Visum, das Namibia entwickelt hatte, genannt „Namibia Digital Nomad Visa“. Es soll Leute ansprechen, die im Homeoffice von jedem Ort der Erde online arbeiten können. Und ja, das Visum hat einen besonderen Fokus auf Deutsche, wie man den Aussagen von Uuandja entnehmen kann.

Farmen gibt es überall in Namibia, meistens in weißer Hand
Farmen gibt es überall in Namibia, meistens in weißer Hand

Diese Aussage wie auch weitere, die Uuandja während des Interviews getätigt hatte, lässt verwundern, wenn man wie ich schon seit 8 Monaten in Namibia seinen Freiwilligendienst macht und glaubt einen gewissen Einblick in die Gesellschaft Namibias bekommen zu haben. Ich würde Namibia jetzt nicht gerade als Deutschlands kleine Schwester bezeichnen. Dafür haben beide Länder eine viel zu unterschiedliche Geschichte und Kultur. Aber auch ich kann Uuandja einige Ähnlichkeiten zwischen Namibia und Deutschland nicht absprechen, die mir hier immer wieder mit Erstaunen aufgefallen sind. So passt das Zitat aus der Bildzeitung als Einstieg in mein Thema: Es geht um die spezielle Beziehung Namibias seit der Kolonialisierung zu Deutschland und um Prägungen die daraus entstanden sind.

Die evangelische Kirche in Swakopmunds Zentrum; gerade hier erinnern sehr viele Gebäude an die Kolonialzeit der Deutschen
Die evangelische Kirche in Swakopmunds Zentrum; gerade hier erinnern sehr viele Gebäude an die Kolonialzeit der Deutschen

Es soll nicht um die Kolonialgeschichte Namibias gehen, das würde den Rahmen sprengen und dem Thema nicht gerecht werden, daher nur soviel: Wie in jeder Kolonie europäischer Großmächte gab es von Anfang an Streitigkeiten zwischen den Kolonialisten und der einheimischen Bevölkerung. In Namibia, damals Deutsch-Südwestafrika ging es vor allem um Land, Ressourcen und Arbeitsbedingungen. Diese gipfelten schließlich in Aufständen, in denen sich unter anderen verschiedene Gruppen der Herero und Nama; zwei der zahlreichen Bevölkerungsgruppen des Landes gegen die deutschen Besatzer auflehnten. Die Aufstände beantwortete die deutsche Kolonialregierung mit einem Krieg, der schließlich im Genozid endete, bei dem ein großer Teil der Hereros von der deutschen Schutztruppe in die weitgehend wasserlose Omahekewüste getrieben wurde und dort größtenteils verdurstete. Die meisten Hereros überlebten den Gewaltmarsch durch die Wüste nicht. Überlebende Herero und Nama wurden im Anschluss an die Kampfhandlungen in Konzentrationslagern interniert, in denen annähernd jeder zweite Insasse starb.

Das Ende der deutschen Kolonialzeit wurde schließlich durch den ersten Weltkrieg besiegelt in dem die Briten 1915 die Kolonie übernahmen, und schließlich der Verantwortung Südafrikas übergaben.

 

So viel zur wenig rühmlichen Vergangenheit Deutschlands in Namibia.

Aber wie steht es heute um das Verhältnis der beiden Länder zueinander?

Nun, wenn man aus dem Flieger steigt, ist meistens die erste Anlaufstation die nahe gelegene Hauptstadt Windhoek, die einem in manchen Dingen seltsam vertraut vorkommt: Deutsche Straßennamen, deutsche Kolonialbauten, und mit etwas offenen Augen und Ohren trifft man auch auf Deutschnamibier, die hier seit der Kolonialzeit wohnen und einer der verschiedenen Tribes von Namibia sind, so die Bezeichnung für die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen. Mir fällt auf, dass es den Deutschnamibiern, die einen winzigen Teil der Bevölkerung ausmachen, oft ziemlich gut geht, gerade im Vergleich zu den anderen Bevölkerungsgruppen Namibias. Viele Farmen, Restaurants und Logdes sind in deutscher Hand. Gerade bei den Farmen, hängt das auch mit der Kolonialzeit zusammen, als von der deutschen Kolonialverwaltung viel Landbesitz enteignet und unter deutschen Siedlern verteilt wurde.

Schirmakazien im Abendrot
Schirmakazien im Abendrot

Viele Deutschnamibier haben also das Glück in Wohlstand, Besitz und Macht hineingeboren zu werden. Ein Nama oder San hat dieses Glück fast nie. Man kann sich natürlich auch die Frage stellen, inwieweit weiße Menschen das Recht haben in einem Land zu leben und Wohlstand zu besitzen, in dem sie für so viel Leid gesorgt haben. Auch nach dem Ende der deutschen Kolonie waren sie die meiste Zeit Profiteure des Apartheidssystems, das Südafrika als neue Kolonialmacht einführte. Andererseits leben diese Menschen teilweise seit mehreren Generationen in Namibia und geben vielen Menschen Arbeit und versorgen das Land mit Lebensmitteln aus den eigenen Farmen. Kann man ihnen die Berechtigung absprechen, Teil des heutigen Namibias zu sein? Ich denke auch nicht. Namibias Regierung hat aber meiner Meinung nach weiterhin die extrem schwierige Aufgabe den Wohlstand des Landes gerechter unter seiner Bevölkerung zu verteilen.

Das Zitat von Uuandja liest sich durchgehend positiv. Also ist inzwischen alles gut zwischen Namibia und Deutschland trotz der schwierigen Geschichte? Zumindest bringt Deutschland ordentlich Geld ins Land. So hat Deutschland die höchsten Geldbeträge in der Entwicklungszusammenarbeit und wenn man Touristen in Namibia sieht, ist es sehr wahrscheinlich, dass man auch den wohligen Klang der deutschen Sprache vernimmt. Gleichzeitig bin ich doch erstaunlich vielen Menschen begegnet, die Deutsche oder allgemein Weiße sehr kritisch betrachten. Gerade bei jüngeren Menschen machte ich die Erfahrung, dass diese oft den weißen Namibiern im Land sehr misstrauisch begegnen. Besonders erstaunlich fand ich, dass man, wenn man sich als Deutscher outet, tatsächlich auch öfters auf den Genozid angesprochen wird, besonders wenn man mit Hereros im Gespräch ist. Das ist doch eine wirklich unangenehme Gesprächssituationen. Wer möchte denn, dass sich ein Gespräch um so ein Thema dreht?

Obwohl der Genozid mehr als 100 Jahre zurückliegt, bleibt die Thematik zentraler Gegenstand. Medienberichte und Diskussionen drehen sich um die deutsch-namibischen Verhandlungen um Reparationszahlungen. Das macht in Deutschland kaum Schlagzeilen, in Namibia aber auf jeden Fall schon. Andererseits, da der Genozid immer noch heutige Geschehnisse mitbestimmt. So erzählte mir ein Herero, dass sein Tribe durch den Genozid schlagartig von der Bevölkerungsmehrheit zu einer Minderheit wurden. Das ist heute noch so, und viele Herero fühlen sich von der mit Abstand größten Bevölkerungsgruppe, den Ovambos oft übergangen. Auch Namibia mit den verschiedenen Bevölkerungsgruppen, die dort leben, ist ein Produkt der deutschen Kolonialisierung. So kann man wohl auf jeden Fall sagen, dass auch noch über einhundert Jahre später  die deutsche Kolonialisierung den Alltag eines jeden Namibiers prägt. Ich denke, wenn man in Namibia ist, sollte man sich, besonders wenn man Deutscher ist, mit diesen Auswirkungen beschäftigen. Ich erwähnte, dass ich Gespräche mit Einheimischen teilweise unangenehm fand, da ich mit etwas konfrontiert wurde, für das ich zwar nichts selber beigetragen habe, als Deutscher, bin ich aber trotzdem ein Teil der Geschehnisse; ob ich will oder nicht. Gespräche über die historische Verantwortung nehmen können einen interessanten Verlauf nehmen. Ich hatte nie das Gefühl, dass einem heute noch Groll für die damaligen Geschehnisse entgegen schlägt. Ich glaube eher, dass sich viele darüber unterhalten wollen, da das wohl eines der ersten Themen ist, dass man mit jemanden verbindet, der aus Deutschland kommt und das wohl auch für meinen Gesprächspartner spannend ist, zu sehen, wie ich darauf reagiere.

Generell ist meine Erfahrung, dass sich Namibier, und damit meine ich wirklich alle Namibier, gerne Zeit für einen Plausch nehmen, selbst wenn sie gerade eigentlich etwas anderes machen wollen. Bestimmt auch, weil man mich als weißen Nichtnamibier erkennt, und ich somit automatisch für viele ein interessanter Gesprächspartner bin.

 

Namibia hat mich oft dazu gebracht über meine Rolle nachzudenken. Als Deutscher, als Weißer, als nach namibischen Maßstäben wirklich Wohlhabender, als jemand der jede Ecke des Landes reisend erkunden kann, während viele Menschen oft Mahlzeiten ausfallen lassen müssen. Ich bin gespannt, welche weiteren Erfahrungen in der restlichen Zeit in Namibia auf mich warten.