Im wilden Osten

Jannek Rieth – IJFD Freiwilliger seit September    2022

Mit knapp bestandenem Abitur in der Tasche, aber keinem Plan für das Leben danach, außer weg von Zuhause und mal was anderes, praktisches machen, entscheide ich mich für einen Freiwilligendienst mit artefact im Ausland. Auf diese Weise möchte ich eine neue Kultur kennenlernen sowie mich ausprobieren. Und hoffe auf eine schöne Zeit, sowie Erfahrungen, die mich reifer und eigenständiger werden lassen.

 

Die Reise begann für mich am 8. September 2022. Nach gut 25 Stunden Busfahrt komme ich mit den anderen Freiwilligen in Cluj an. Hier beginnt unser Einführungsseminar. Wir lernten die Stadt kennen und fuhren in den nächsten Tagen die Einsatzstellen der Teilnehmer ab. Julius in Rosia, Vanessa in Cluj, Helene in Cojocna und ich in Fagaras. Für die Dauer des Sprachkurses wohnten wir in unserer grünen Wohnung in Sibiu. In der Wohnung war nämlich alles grün und sie hieß „The green place“. Gelegen in einer sehr herausgeputzten Stadt mit schicken alten Gebäuden. Hier wurden wir von unserem Sprachlehrer auf sehr praktische Art in die rumänische Sprache eingeführt und sammelten die ersten Eindrücke von Rumänien. Der Sprachkurs war eine tolle Möglichkeit, um sanfter in diese neue Kultur eingeführt zu werden.

 

Nach zwei Wochen Sprachkurs nun auf mich allein gestellt, wurde ich von Fagaras mit einem Sturzregen und von einer Dame am Telefon begrüßt, die nur Rumänisch spricht. Klitschnass stolperte ich über die Bahnschienen, denn einen Bahnsteig gibt es hier nicht. Mit meinem genau so holperigen Rumänisch konnte ich am Ende doch noch irgendwie herausfinden, wo sich mein Haus für das nächste Jahr und der dazugehörige Schlüssel befanden. Das Einleben funktionierte gut, da wir deutschen fagaraser Freiwilligen uns schnell gefunden hatten und gegenseitig unterstützen konnten. Inzwischen sind wir zu fünft: der Matthias der mein Mitbewohner geworden ist und die gleiche Einsatzstelle teilt, Emma und Sonja die auch bei der Evangelischen Kirchengemeinde Fagaras arbeiten und Celestine an der deutschen Schule in Fagaras. Auch mit den Freiwilligen aus anderen Städten treffen wir uns regelmäßig. Schwieriger finde ich es, den Kontakt nach Hause zu halten; was mich einerseits stört, andererseits zeigt sich, dass das in Kontakt kommen mit den Menschen hier nicht so schwer ist, wie ich befürchtet hatte. Außerdem lässt sich durch den vielen Kontakt mit Rumänen die Sprache schnell lernen und mittlerweile reicht es, um sich gut auf Rumänisch durch den Alltag zu schlagen sowie kleinere Gespräche zu führen.

 

Fagaras ist eine Kleinstadt mit 28 000 Einwohnern im Herzen von Siebenbürgen (Rumänisch: Transilvania), zwischen den beiden Städten Sibiu und Brasov. Jedoch ist Fagaras keine typisch Siebenbürgische Stadt deutscher Prägung, sondern hauptsächlich von Rumänen besiedelt. Gelegen ist Fagaras in einer Ebene zwischen den nördlich angrenzenden Hügeln und den südlich gelegenen Karpaten. So ist die Stadt ein super Ausgangspunkt um Ausflüge in die Natur zu unternehmen, aber man ist auch schnell in naheliegenden Städten. Was mit den großen, sehr wirtschaftsstarken, Nachbarstädten Sibiu und Brasov vermutlich auch zu der großen Bevölkerungsabwanderung führt. Denn Fagaras selbst glänzt, bis auf das auffälligste Gebäude der Stadt, der goldenen orthodoxen Kirche, nicht besonders. Mit dem Sozialismus erlebte die Stadt, mit zwischenzeitlich 45000 Einwohnern, durch die Ansiedlung von Industrie, wie der Schwarzpulverproduktion, einen Aufschwung. Wir Freiwillige fühlen uns sehr wohl hier. Für mich stellt dies, gerade in den umliegenden Dörfern ohne fließendes Wasser oder Gas, eine bereichernde Erfahrung dar. Auch die Stromversorgung hier ist durch die abenteuerlichen Kabelführungen nach Unwettern oft gestört.

 

Meine Einsatzstelle in Fagaras ist sehr vielfältig und ich arbeite oft mit den anderen Freiwilligen zusammen. Meine Mitarbeit in der Deutschen Evangelischen Kirchengemeinde Fagaras ist im Winter durch handwerkliche Tätigkeiten bestimmt. Ich half beim Bauen eines Naturbadeteiches, welcher von der EU subventioniert wird. Die Gräben am Rand sollen durch Schilfbewuchs und Ähnlichem das ständig, von Pumpen bewegte, zirkulierende Wasser reinigen. Der Teich soll auch als Löschteich für die dazugehörige Kirche in Selistat dienen. Ich war bei bei Vermessungsarbeiten für die Teichfolie, die aus einem Stück angefertigt, aus Deutschland kommen soll und beim Zusammenschweißen eines Schutzvlieses beteiligt. Sehr viel Holz Hacken gehörte auch zu meinen Aufgaben oder in der Schreinerei Bretter für einen Kirchenboden in Selistat sägen. Wenn wir früh morgens im Dorf ankommen, beginnt der Tag meistens mit einer gemütlichen Runde in der durch einen alten Ofen aufgewärmten Stube. Die Rumänen lassen es hier nämlich gerne entspannt mit der Arbeit angehen. So verbringen wir neben dem arbeiten auch viel Zeit mit Kaffee trinken quatschen und die alten Männer zeigen uns ihre lustigen TikTok-Videos. Oft werden aber auch Plastikflaschen mit selbst gebranntem Schnaps hervorgeholt, denn so arbeitet es sich ja besser. Zudem finden Jungendfreizeiten statt, wofür wir meist für eine Woche in eine Herberge der Kirchengemeinde auf dem Land fahren, um dort Kinder zu betreuen. Außerdem bauen wir in Barcut ein Kindermuseum mit vielen Experimenten auf, wie dem Bau einer Leonardo-Brücke sowie Versuchen zur Hydrodynamik.

Bei der Diakonie bin ich in die Behindertentagesbetreuung eingebunden oder helfe in der  Fahrradwerkstatt oder auf der Baustelle an meinem Haus Ich wohne in einem Haus der Diakonie das im Moment ausgebaut wird. Aber auch in der Afterschool, der Nähwerkstatt oder Bäckerei gibt es immer was abzupacken.

Bun venit Transilvania ist eine Organisation aus Cobor (einem Nachbarort). Die kleine Organisation arbeitet vor allem für Bildung und Integration von benachteiligten Kindern und Jugendlichen im ländlichen Raum. Wir fahren mittags los nach Lovnic um die Kinder aus der Tiganie (Marginalsiedlung) zur alten Schule zu bringen wo die Gruppen stattfinden. Davor sollen wir meist Erledigungen in der Stadt machen und einen alten Ungarn auf dem Dorf besuchen. Nach der Kindergruppe kommen die Jugendlichen. Für sie bereiten wir auch inhaltliche Themen auf, die in der Schule ausgelassen werden. Danach spielen wir oft Spiele mit offenem Ende. Die Eröffnung eines Jugendcafes ist in Plannung. Da auf dem Dorf durch stark alkoholisierte Nachtwanderer eine Gefahr besteht bringen wir die Kinder oft auch wieder nach Hause. Streunende Hunde sowie äußerst aggressive Herdenschutzhunde waren für mich zu Anfang auch gewöhnungsbedürftig.

Generell gilt das man arbeiten kann was einem liegt, wo man etwas beitragen möchte oder wo man etwas lernen will.

 

In Absprache mit der Kirchengemeinde dürfen wir uns auch privat mal ein Dienstfahrzeug ausleihen. So können wir das Land auf eigene Faust erkunden. Am Anfang kam es zu ein paar kleineren Pannen. Gut daran ist, dass wir uns jetzt bei geplatzten Reifen, leerer Batterie oder defektem Licht selbst helfen können. Eines Nachts als unser Licht nicht funktionierte und wir vor dem kleinen Dorfladen hielten, trafen wir auf eine Gruppe hilfsbereiter Rumänen. Unser Glück, denn kurz nach dem wir unser Problem schilderten „avem probleme cu masina, cu lumina…“ (was bedeuten sollte „haben Problem mit Auto, mit Licht…“) umlagerte die Gruppe sogleich unser Fahrzeug. Offensichtlich froh über die Abwechselung gingen sie gleich mit Klebeband, Zange und viel Improvisationstalent ans Werk und machten unser Fahrzeug wieder flott.

Ich finde den Arbeitsalltag anspruchsvoll, da auch nach einem langen Arbeitstag noch Vorbereitungen für die Jugendgruppen gemacht werden sollen und es für mich zum ersten mal auch noch einen kleinen Haushalt zu managen gilt. Umso beeindruckender finde ich es wie in Köln Zuhause immer alles da war und funktioniert hat. Die bis jetzt noch karg eingerichtete Wohnung wird langsam gemütlicher. Im Secondhandshop fand sich ein Wasserkocher, eine Mikrowelle und eine Waschmaschine. In der Küche erstrecken sich meine Kochkünste von spiralförmigen Nudeln über Schmetterlings-förmige Nudeln bis hin zu Spagetti.

Meinem Hobby Fußball konnte ich bis jetzt leider nur ein paar Mal in der Halle eines Freundes am Stadtrand nachkommen. Auch joggen ist schwieriger als in Deutschland, denn sobald man die Stadt verlässt, wird man von einigen wild gewordenen Wachhunden gejagt, die ihren Aufgabenbereich nicht richtig abschätzen können und alles in Sichtweite auch weit über die Grundstücksgrenzen hinaus verfolgen. Bis jetzt konnte ich an den Aufgaben wachsen und es tut mir gut neue Leute sowie Kulturen kennenzulernen. Ich freue mich schon auf den Sommer mit mehr intellektuellen Aufgaben sowie auf das Aufblühen der im Moment doch oft trostlos wirkenden graubraunen Landschaft.