von Georg Heinemann, Kampala im Juni 2011
„Wie bitte? Sind das etwa schon wieder diese verdammten Rot Kreuz-Altkleidersack-Falten?“ beschwert sich mein weltwärts-Kollege Julian, als er sich am Sonntagabend an das mühselige Bügeln seiner frisch erstandenen und gewaschenen Hose macht. Julian hatte einmal mehr am Wochenende auf dem Markt in Kampala zugeschlagen und das, zugegeben etwas in die Jahre gekommene, Bügeleisen kann die Falten in der Hose nicht wirklich bewältigen.
Deutsche Altkleider auf dem Owino Markt
Kein Wunder, denn die Hose kommt vom berühmt berüchtigten Owino Markt, dem größten Kleidermarkt Ugandas und gleichzeitig Hauptumschlagplatz für „Second-Hand“ Kleidung in Ostafrika. Hier werden die in Europa massenweise eingesammelten Altkleider wieder in Form gebracht und als „fairly-used“ Kleidung an den Meistbietenden gewinnbringend verkauft.
Da es sonst eigentlich nur synthetische Billigware aus China zu kaufen gibt, hat die qualitativ sehr viel bessere gebrauchte Markenkleidung aus dem Westen eine wichtige Stellung auf dem lokalen Bekleidungsmarkt inne.
Der Owino Markt in Kampala
Das erregt natürlich die Aufmerksamkeit von uns weltwärts-Freiwilligen. Gibt es etwas schöneres, als im turbulenten afrikanischen Marktgeschehen nach zähem Feilschen echte Markenartikel für wenig Geld zu erobern? Gerade letztens konnte ich ein prächtiges Lederjacket für umgerechnet 10€ erstehen. […]
Handwäsche
Vor- und Nachteile der Altkleidersammlungen
Sind solche Praktiken verantwortungslos, wenn man eigentlich genau weiß, dass man damit den Niedergang der lokalen Textilindustrie fördert? Führen die Altkleiderlieferungen wirklich zu Schäden in der lokalen Textilindustrie?
Letzteres wird schon seit den 90er Jahren in Deutschland kontrovers diskutiert. Auf der einen Seite gibt es die Position die auf die Studie „Kleider machen Beute – deutsche Altkleider vernichten afrikanische Arbeitsplätze“ [1] verweist, die unmissverständlich die negativen Konsequenzen von solchen Spenden unterstreicht. Sowohl in Deutschland als auch in Afrika verdienen die Altkleidersammler und –händler kräftig Geld. Afrikanische Textilproduzenten sind dagegen chancenlos, da die geschenkte Kleidung preislich weit unter den lokalen Produktionskosten angeboten werden kann. Experten schätzen, dass in ganz Afrika in dem Zeitraum 1981 bis 2000 die Textilproduktion um 40% und die Beschäftigungszahlen um rund 50% eingebrochen sind. [2]
Andererseits sind Vorteile für die Begünstigten nicht von der Hand zu weisen. Die gebrauchte Kleidung bietet oftmals ein sehr viel besseres Preis-Leistungsverhältnis, welches besonders wichtig für die einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen ist. Auch kann man für erschwingliche Preise aus einer recht großen Auswahl an westlicher Kleidung schöpfen, die in dem Maße sonst niemals vor Ort erhältlich wäre. Schließlich schafft der Verkauf von gebrauchter Kleidung viele Arbeitsplätze im informellen Sektor, die besonders durch benachteiligte Bevölkerungsgruppen wie Frauen und Jugendliche besetzt werden können. [3]
Auswirkungen auf Uganda
Objektiv betrachtet lässt sich die Problematik also nur schlecht beantworten. Für den Fall Uganda lässt sich aber folgendes feststellen:
Erstens, es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Uganda regelrecht mit Altkleidern überschwemmt wird. Das Stadt Zentrum ist voll von kleinen Boutiquen, die gebrauchte Kleidung anbieten. Wir Deutschen tragen maßgeblich dazu bei, denn es werden jährlich zwischen 750.000 und 960.000 Tonnen Kleider (ca. 15 Kleidungsstücke pro Kopf) für die Altkleidersammlung aussortiert. Schließlich braucht man Platz für die nächsten 25 kg. Kleidung, die jedes Jahr pro Kopf neu erworben werden. [4] Nicht umsonst ist die Modekette Zara so erfolgreich. Der Branchenprimus versteht es wie kein anderer Wettbewerber alle 2- 4 Wochen eine neue Kollektion in seinen Verkaufsläden zu haben. [5]
Zweitens, die Bedeutung von Kleidung für die Bevölkerung Ugandas wird von den westlichen Wohltätern völlig unterschätzt.
Nicht nur merkt man als Weißer sofort, dass man adrett gekleidet mit Hemd und langer Anzugshose zur Arbeit kommen sollte, um von seinen Kollegen akzeptiert zu werden. Sondern Kleidung ist auch ein fundamentales Kulturgut in der ugandischen Gesellschaft, weiß Santa Anzo zu berichten, die führende Modedesignerin des Landes. [6] […]
Interview mit Santa Anzo
Das nationale Kleidungsstück Busuuti
Auf dem Land lässt sich anhand der traditionellen Kleidung sehr genau erkennen, aus welcher Region und von welchem Volksstamm die jeweilige Person abstammt. […] Sie weisen aber nur eine bedingte Alltagstauglichkeit auf, und die Anforderungen eines modernen (Arbeits-) alltags lässt sowohl Mann und Frau eigentlich immer zu westlichen Kleidungsstücken greifen. Denn nicht nur für den sonntäglichen Kirchgang müssen Mann und Frau „smart“ und fortschrittlich aussehen, um sich gekonnt von der Masse abzuheben. Denn die Konkurrenz lauert überall, nicht zuletzt auf dem Arbeitsmarkt, wo sich jährlich ca. 390.000 Studienabgänger um ca. 8.000 offizielle Arbeitsplätze streiten. [7]
Osterwerbung eines Second-Hand-Ladens
Das Beispiel des Modelabels Arapapa
Eigentlich sind das sehr gute Voraussetzungen für eine lokale, auf die extravaganten Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung zugeschnittene Textilindustrie meint Santa Anzo, die sich 2001 mit ihrem eigenen Modelabel Arapapa selbständig gemacht hat. Zu diesem Zeitpunkt bestand der Markt gerade mal aus zwei weiteren Modedesignern.
Der richtige Durchbruch ist aber ausgeblieben. Zuviel Zeit und Energie geht in die grundsätzliche Werbung für ihr Handwerk verloren. Überzeugungsarbeit für moderne afrikanische Muster und Schnitte muss sowohl in der Politik aber auch in der breiten Öffentlichkeit geleistet werden. Kleidung „Made in Uganda“ hat einen schweren Stand, denn es ruft Assoziationen an die traditionellen, aber altertümlichen Gewänder der nicht sehr fortschrittlichen Landbevölkerung hervor. Diesen Status will nun wirklich jeder Ugander tunlichst hinter sich lassen.
Arbeitskollegen in Kampala
Den Prozess des Umdenkens und die Akzeptanz der eigenen Kleidungskultur konnte Santa Anzo bei ihren Landsleuten durch die „Ugandan Fashionweek“ anstoßen. Der Traum von einer blühenden Modeindustrie ist mittlerweile aber in weite Ferne gerückt.
Weiterhin existieren für die Politik nur die zwei letzten verbliebenden großen Textilfabriken, Freedum und Phoenix, die mit umfangreichen Subventionen für den Export wettbewerbsfähig gehalten werden. Der lokale Markt profitiert nur durch die Produktion von Schuluniformen und sonstigen Uniformen für den öffentlichen Dienst. Der Export ist und bleibt überlebenswichtig, schließlich produziert Uganda neben Kaffee vor allem Baumwolle. Besonders mit der Bio-Baumwolle kann Uganda im weltweiten Vergleich punkten. So etwas ließe sich aber niemals so einfach auf dem lokalen Markt verkaufen, weiß Santa resignierend zu berichten. Ein bloßes Baumwoll-T-Shirt für umgerechnet 3 Euro würde nicht gegenüber dem synthetischen Angebot aus China für ca. 1 Euro bestehen.
Trotzdem beharrt Santa Anzo mit Arapapa auf der Qualität und Exklusivität ihrer ugandischen Schnitte, die eine wirkliche Nische im Markt besetzen.
Es sei nur zum Verzweifeln, wenn man täglich gegen die Ignoranz und den gedanklichen Abstumpfungsprozess der Politiker und der gesamten Gesellschaft ankämpfen müsse. Jedem würde schon seit der Grundschule eingeimpft, dass Uganda neben einer hohen HIV-Rate und der blutigen Herrschaft Idi Amins nur durch den Export von Kaffee und Baumwolle international auf sich aufmerksam machen kann.
Dagegen könnte Kleidung für ein positives und erfolgreiches Uganda stehen, welche Identifikation und Arbeitsplätze in der Heimat stiftet und zu einem attraktiven Aushängeschild im Ausland avanciert.
Doch werden die Bedingungen immer schwieriger. Selbst das kleine Unternehmen Arapapa muss sie sich mittlerweile den Umständen beugen und Abstriche an dem Grundsatz 100% aus Uganda für Uganda vornehmen.
Eine Situation, die das Dilemma der Textilindustrie in Uganda auf einen treffenden Punkt bringt: der so wichtige Unterbau an Designern, Schneidern und selbständigen Modeunternehmern kann sich nicht entfalten, da nicht nur der Markt mit billiger Ware aus Europa und China überschwemmt wird, sondern mittlerweile auch die strukturellen Bedingungen unternehmerische Tätigkeit nahezu unmöglich macht.
Was kann man tun?
Auswege aus diesem desillusionierenden Teufelskreis gibt es viele, doch gerade für die Textilindustrie muss Uganda eigenständig einen besseren Weg finden. Kleidung ist ein nationales Gut und erst wenn es als solches von der Gesellschaft wahrgenommen und wertgeschätzt wird, hat die lokale Textilindustrie eine Zukunft.
Bis dahin kann der Westen sicherlich mit gutem Beispiel vorangehen und bewusster Kleidung konsumieren und recyceln.
Persönlich warte ich nun auf die Neueröffnung des Arapapa Ladens. Denn natürlich wird es mir schwerfallen, auf die adrenalingeladene Schnäppchenjagd auf dem Owino Markt zu verzichten. Doch so spare ich mir nicht nur den Extrakoffer für die Rückführung von Altkleidern, sondern kann stattdessen mit einem Unikat im Handgepäck aufwarten: ein extravagantes, aber einzigartiges Kleidungsstück von Arapapa – als Andenken an Uganda für Uganda.
[1] Friedel Hütz-Adams: Kleider machen Beute, Südwind e.V., September 1995
[2] Garth Frazer: Used-Clothing Donations and Apparel Production in Africa. Economic Journal, Vol. 118, Issue 532, pp. 1764-1784, October 2008.
[3] Dachverband FairWertung e.V. : Dialogprogramm Gebrauchtkleidung in Afrika, 2003
[4] Bergischer Abfallwirtschaftsverband: Altkleidersammlung –ein Problem!?,http://www.bavweb.de/abfallberatung/abfalltipps/altkleidersammlung-ein/, 8.5.2011
[5] Bettina Weiguny: Wie klaut man schneller als andere? , Die Zeit, 29.09.2005 Nr. 40
[6] Gespräch mit Santa Anzo am 5.5.2011, Modedesignerin und Inhaberin des Modeunternehmens Arapapa
[7] Charles Onyango-Obbo, Whoever wins in Uganda, economy, democracy will be losers, The East African, February 21 2011,http://www.theeastafrican.co.ke/news/Whoever+wins+in+Uganda+economy+democracy+will+be+losers/-/2558/1110684/-/item/0/-/eg1ogq/-/index.html