Anders als die Vorstellung
Aaron Gulde – Namibia Freiwilliger 2022-23
Mit solivol absolviere ich einen Freiwilligendienst in Namibia. Natürlich hatte ich vor meiner Abreise Vorstellungen und Vorurteile über das Land, von denen sich einige bestätigt, die meisten allerdings als falsch erwiesen haben. Hier schreibe ich über einige meiner Vorstellungen und wie im Gegensatz dazu die Realität aussieht.
Windhoek als afrikanische Großstadt
Vor meinem Freiwilligendienst hatte ich noch nie einen Fuß auf den afrikanischen Kontinent gesetzt. Durch die unterschiedlichsten Medien hatte ich ein bestimmtes Bild einer afrikanischen Großstadt im Kopf. Eine riesige Metropole mit mindestens einer Millionen Einwohnern, von Autos verstopfte Straßen. Märkte mit Händlern, die einem alles Mögliche verkaufen wollen. Dazwischen überall Frauen, die Körbe auf ihren Köpfen balancieren. Es ist laut, heiß, dreckig und voller Menschen.
Für die meisten afrikanischen Hauptstädte mag das sogar zutreffen. Für Windhoek, Namibias Hauptstadt, allerdings nicht wirklich. Natürlich lassen sich die oben genannten Dinge vereinzelt auffinden. Und gerade im ehemaligen Township Katutura bekommt man durch die vielen Menschen ein bisschen das feeling einer afrikanischen Großstadt.
Die Innenstadt erinnert dagegen eher an eine größere deutsche Stadt. Es gibt Geschäfte, sogar eine große Shopping-Mall, aber man kann sich entspannt zu Fuß fortbewegen. Die Straßen laufen nicht über mit Menschen und Autos. An Wochenenden kann die Stadt sogar wie ausgestorben wirken. Mit meiner Ausreisegruppe kam ich an einem Feiertag in Windhoek an. Bedeutet: Menschenleere Straßen. So ziemlich das Gegenteil von dem, was ich erwartet hatte.
Die Apartheit ist vorbei
Mit dem Ende des ersten Weltkriegs verlor Deutschland durch den Versailler Vertrag seine Kolonien. Darunter auch Namibia (Deutsch-Südwestafrika), das unter Südafrikanische Verwaltung fiel. Die Apartheit gab es so nicht nur in Südafrika, sondern eben auch in Namibia. 1989/1990 erhielt Namibia seine Unabhängigkeit. Die Apartheit war somit, wie in Südafrika schließlich auch, offiziell beendet.
Ein Ende des apart- (also getrennt) Seins, gab es allerdings bisher noch nicht. Etwa 5% Prozent der Menschen in Namibia sind weiß. In allen Bereichen des Lebens zeigen sich riesige Unterschiede zwischen der schwarzen und der weißen Bevölkerung. Am Ende des Tages lassen sich diese alle auf die unterschiedlichen Einkommen, bzw. die Vermögensunterschiede zurückführen. Es gibt richtige weiße Communities, die sich im privaten Leben vom Rest abschotten.
Auch gibt es Nachtclubs und Bars mit hauptsächlich weißer Kundschaft und es gibt Veranstaltungen die mehr oder weniger aktiv ein weißes Publikum ansprechen.
Die Arbeitslosigkeit
Laut dem BMZ lag die Arbeitslosenquote in Namibia bei etwas über 20 Prozent. Die Corona-Pandemie und der damit verbundene, für Namibia besonders schwer zu verkraftende Einbruch des Tourismus, werden diese Zahl noch einmal deutlich gesteigert haben. Dabei ist diese Zahl im Vergleich zu anderen afrikanischen Ländern sogar noch relativ niedrig.
Oft dachte ich: „Wie kann ein Land eine so hohe Zahl an Arbeitslosen überhaupt stemmen? Wovon leben die Menschen dann überhaupt?“ und hatte dabei Menschen vor Augen, die den ganzen Tag nichts tun und sich vielleicht hier und da nach einer Arbeit umsehen. Jedoch kann man erneut einen afrikanischen Sachverhalt nicht mit dem in Deutschland gleichsetzten. Die Arbeitslosenquote umfasst nämlich die Menschen, die nicht fest angestellt sind. Dennoch arbeiten viele dieser „Arbeitslosen“. Entweder versuchen sie mit Gelegenheitsjobs etwas Geld zu verdienen. Oder aber sie verkaufen etwas auf der Straße.
Mit Arbeitslosigkeit werden auch häufig Begriffe wie Faulheit assoziiert, was auch der Grund ist, weshalb ich über das Thema schreibe. Diese Menschen sind nämlich das genaue Gegenteil. Sie verrichten oftmals schwere körperliche Arbeit, das zumeist auch noch den ganzen Tag in der Sonne. Das alles mit einem minimalen, nicht einmal gesichertem, Einkommen. Ich bin davon überzeugt nirgendwo in Europa findet man Menschen, die so hart für so wenig Geld arbeiten. Diese Tatsache sagt natürlich auch viel über die finanzielle Situation aus, in der sie sich befinden. Dennoch finde ich die Einstellung bewundernswert. Ich könnte mir so eine Arbeit mit der entsprechenden Entlohnung nicht vorstellen.
Die Kolonialgeschichte
Überall in Namibia finden sich Spuren der deutschen Kolonialgeschichte. Man muss sich wirklich keine Mühe geben, um diese zu entdecken. Gebäude, Denkmäler, Straßennamen; gerade in den Städten erinnert vieles an diese Zeit.
Ich dachte die Tatsache, dass ich deutscher bin, könnte zur ein oder anderen unangenehmen Situationen führen. Schließlich verübten die deutschen einen Genozid an den beiden Gruppen der Nama und Herero. Mir ist es allerdings noch nie passiert, dass ein Namibier mir aufgrund meiner Herkunft gegenüber abweisend war, oder die Verbrechen der Kolonialzeit angesprochen hat. Wenn man nachfragt, ob sie deswegen nicht Vorbehalte gegen Deutsche hätten, ist die Antwort immer ungefähr die gleiche: Nein, das sei eben schon lange her gewesen. Oft bin ich mir unsicher, ob manchen Namibiern überhaupt richtig bewusst ist, was die deutschen während der Kolonialzeit getan haben.
Doch auch im Zwischenseminar, bei einem Gespräch mit einem Herero, der in die Verhandlungen über Reparationszahlungen involviert ist, kamen keine Vorwürfe an die Deutschen auf.
Afrika = heiß
Denkt der Europäer an Afrika wird ihm mit ziemlicher Sicherheit auch der Begriff Hitze in den Sinn kommen. Vielleicht nicht an erster Stelle. Dennoch wird wohl kaum jemand eine Aussage wie „In Afrika ist es doch immer voll heiß.“ Als falsch betiteln. Oder? Nun, dass es in der Wüste nachts durchaus sehr kalt wird, ist vielen dann doch bekannt. Und Namibia besteht zum größten Teil aus Wüste. Trotzdem hat beides bei mir nicht so richtig zusammengepasst. „So kalt wird es schon nicht werden“, dachte ich mir, bevor ich genau einen Pullover in meinen Koffer schmiss. Etwa einen Monat später, im Juni 2022, also mitten im namibischen Winter, befand ich mich bei meiner ersten Einsatzstelle und fror.
Die Monate Juni und Juli sind mit Abstand die kältesten in Namibia. In meiner Einsatzstelle, etwa 80 Kilometer nördlich der ehemaligen Minenstadt Tsumeb, kühlte es in der Nacht auf um die 10 Grad runter. Morgens war es dementsprechend kalt. Mitfreiwillige aus Windhoek berichteten sogar teilweise von morgendlichen Temperaturen unter dem Gefrierpunkt. Hinzu kommt: in großen Teilen Namibias ist die Luft sehr trocken. Dadurch fühlt sich die Luft sehr viel kälter an, als sie tatsächlich ist.
Die gute Nachricht ist: man kann sich sicher sein, dass es im Laufe des Tages wieder wärmer wird. Dafür sorgt die afrikanische Sonne, über die die europäischen Vorurteile vermutlich alle stimmen.
Ich persönlich bezwang den namibischen Winter, indem ich mich auf einem local market mit ein paar weiteren Winterklamotten eindeckte. Die Moral der Geschichte: Namibiareisende, packt auch warme Kleider ein!