Namibias Fahrradcommunity
Sebastian Endres-weltwärts Freiwilliger ab Mai 2022
Mein Fahrrad ist mir in Deutschland mein liebstes Fortbewegungsmittel und die Verkehrswende ein Thema für das ich mich gerne politisch engagiere. Also war für mich klar meinen Auslandsfreiwilligendienst in Afrika am liebsten in einem Fahrradprojekt zu machen.
Und so landete ich in der Hafenstadt Walvis Bay in Namibia, in meiner weltwärts Stelle beim Bicycling Empowerment Network Namibia (kurz BENN). Dort werden Schiffscontainer voll mit second-hand Fahrrädern aus der ganzen Welt importiert und anschließend auf die verschiedenen Partnershops und -Projekte verteilt. Am Anfang durfte ich direkt mithelfen, die Räder zu reparieren und wieder herzurichten. Ich war erstaunt, was für Rostlauben, die sich am Ende des “europäischen” Lifecycles befinden, man noch einmal fahrtüchtig bekommt. Dabei habe ich vieles gelernt und Sachen repariert, wo ich davor dachte, dass man die gar nicht reparieren kann.
Relativ schnell war jedoch klar, dass mein Jahr nicht nur aus Fahrräder reparieren bestehen soll, sondern, dass ich auch selbst Ideen einbringen kann und relativ frei bin, selbst Projekte anzupacken. Ich begann nachzuforschen, was es schon alles rund ums Rad in Namibia gibt. Da BENN schon seit einigen Jahren aktiv ist, ist auch schon jede Menge passiert im Land. Und so machte ich mich auf eine Reise in die Hauptstadt Windhoek, wo sich das meiste Geschehen des Landes konzentriert, um mehr über die Partner von BENN und andere Projekte zu erfahren.
BENN half über 30 Werkstätten im Land aufzubauen, viele davon im ländlichen Norden Namibias, wo es kaum Jobaussichten gibt und viele Wege zu Fuß zurückgelegt werden. In den Werkstätten, die meistens aus ein paar Containern bestehen, arbeiten hauptsächlich benachteiligte Menschen, z. B. Menschen mit Behinderung oder ehemalige Sexarbeiterinnen (King’s Daughters Bicycle Shop in Windhoek). Viele Projekte dienen wiederum als Einnahmequelle für andere soziale Projekte, wie z. B. AIDS-Projekte im Norden oder ein Schulprojekt namens Family of Hope Services in Katutura, dem Township Windhoeks, wo wiederum andere Mitfreiwillige arbeiten. Außerdem hat BENN in der Vergangenheit auch Sportradler*innen mit Fahrrädern unterstützt, wie z. B. die Kinder und Jugendlichen der Physically Active Youth (P.A.Y.), einem Afterschool Program, deren Mitglieder bei BMX-, Mountainbike und Rennradrennen in Namibia und sogar international mitfahren. Auch ein sehr spannendes und aktives befreundetes Projekt ist Suncycles, welche in Windhoek E-Bikes und Lastenräder selber entwerfen und bauen und wo auch ein Mitfreiwilliger arbeitet. Auf meiner Reise war es spannend zu sehen, wie die verschiedenen Projekte alle zusammenhängen. Allgemein ist es verrückt, wie wenig Menschen in Namibia leben. Obwohl das Land riesengroß ist, kennt doch irgendwie jede*r jeden*n und schnell kannte auch ich viele der wichtigen Akteure der Fahrradcommunity und im Bereich Mobility in Namibias.
Eine weitere Erkenntnis ist, dass Fahrradfahren an jedem Ort im Land ganz unterschiedlich ist: Während es an der Küste kühl und flach ist, muss man leider ganzjährig gegen einen starken Wind antreten. In Windhoek ist der nicht so stark, dafür ist es sehr hügelig und heiß. Im Norden und in ländlichen Gegenden wiederum gibt es kaum asphaltierte Straßen sondern hauptsächlich Sand. Überall, wo ich war, war es jedoch so, dass die wenigen Fahrradfahrenden zusammenhalten, sich gegenseitig grüßen und oft auch kennen. Da ich in Walvis Bay für ein Recyclingprojekt viel mit einem Fahrradanhänger herum gefahren bin, war ich z. B. schnell in der Stadt als “Dshirumbu (=der Weiße) mit dem Fahrradanhänger” bekannt.
Leider musste ich bei meinen Recherchen feststellen, dass BENN zwar früher viel erreicht und sicher einiges zum Aufbau einer lebendigen Fahrrad Community beigetragen hat, mittlerweile aber einige der guten Projektansätze eingestellt wurden. Dennoch kann ich durch meine Mitarbeit bei BENN und die Begegnungen mit den Fahrradprojekten im Land vertiefte Einblicke in NGO Arbeit gewinnen. Eigentlich täglich lerne ich Faszinierendes über Namibia und treffe vor allem viele interessante Menschen.