Bericht Marie Sprute – Fotos Tobias Bauer

„Escort Service“  hat bei artefact  einen ganz besonderen Beiklang: begleitet werden keine reichen, gelangweilten Männer zu einem Abendessen, sondern junge, motivierte Menschen in einen neuen Lebensabschnitt. In diesem Fall wird der Lebensabschnitt ein Jahr dauern und sich in den unterschiedlichsten Ecken Ugandas abspielen – für manche in der Hauptstadt Kampala, für andere in sehr ländlichen Ortschaften, für wieder andere in Touristenstädten. Meine spannende Aufgabe ist es also die neuen Freiwilligen im On Arrival Seminar möglichst gut in ihre neue Lebenswelt einzuführen – aber wie macht man das? Es ist offensichtlich, dass man kein ganzes Land in einer Woche erklären kann, das kann man sicherlich noch nicht mal in einem Jahr, wenn überhaupt irgendwann. Ich kann aber versuchen, den Neulingen möglichst vielschichtige Eindrücke zu ermöglichen – kulturelle, sprachliche, alltägliche, außergewöhnliche. Dementsprechend gestaltet sich unserer Weg durch Kampala, wo wir die erste Woche verbringen: von überfüllten Geschäftsstraßen und Märkten in luxuriöse Einkaufs- und Entspannungszentren, von der Gaddafi-Moschee im Stadtzentrum zur grünen Oase des botanischen Gartens in Entebbe, von Streetfood zu schicken Restaurants, vom Luganda-Sprachkurs in der Makerere Universität zum Immigration-Office, vom Reggaejam im Nationaltheater zu traditionellen Tänzen aus verschiedenen Ecken Ugandas im Ndere Cultural Center.

Nicht selten fühle ich mich in der zum Teil unübersichtlichen Stadt wie ein Hirte, der seine (zum Teil verschreckten) Schäfchen zusammenhalten muss – obwohl meine Aufgabe durch die herausstechende Hautfarbe um einiges erleichtert wird. Bei all dem bleibt aber wohl das wichtigste in der Orientierungswoche das Reden und Austauschen. Zwischen den Freiwilligen untereinander, zwischen den neuen Freiwilligen und alten Freiwilligen, zwischen den Freiwilligen und Ugandern und zwischen den Freiwilligen und mir. Sachen auszusprechen kann schließlich oft helfen die inneren Eindrücke zu sortieren – und von Eindrücken und Gedanken wimmelt es in den Köpfen der Freiwilligen wie in einem beschäftigten Ameisenhaufen. In vielem von dem, was meine Schäfchen aussprechen erkenne ich mich selbst während meiner Ankunftszeit wieder und empfinde es als bereichernd, noch mal diesen neuen, sensiblen und unverbrauchten Blick auf Uganda annehmen zu dürfen. Nicht selten muss ich Wörter erklären, die sich in meinem eigenen und alltäglichen Sprachgebrauch eingeschlichen haben.  Ja, was genau ist nun eigentlich ein Boda-Boda (=Motorradtaxi)? Und wieso nennt mich jeder „Bambi“ (Ausruf, der in etwa „Du Arme/r!“ bedeutet), wenn ich hinfalle? Und wieso klingen Ugander, als ob sie niesen würden („Wangi?“ = Wie bitte?), wenn sie mich nicht verstanden haben? Jeden Tag höre ich mich selber ein dutzend Mal sagen: „Daran wirst du dich schon noch gewöhnen!“ – und es stimmt, denn der Mensch gewöhnt sich an alles.

Nur an zu viel Gepäck, das verspreche ich euch und jedem zukünftigen Freiwilligen, daran gewöhnt sich niemand.  Bei den Weiterreisen zu den Einsatzstellen, zuerst durch den Westen Ugandas, danach in den Osten, flucht ein jeder über jedes Kilo, das er eigentlich nicht unbedingt hätte mitnehmen müssen. Und es prasselt ein Gewitter von wieder neuen Eindrücken auf die Freiwilligen nieder – und das, obwohl sie sich doch grade einigermaßen an Kampala gewöhnt hatten. Das erste Mal mit öffentlichen Verkehrsmitteln durch das satte Grün Ugandas. Alle zehn Minuten wechselt das Landschaftsbild, die Ortschaften, die Menschen und schließlich gelangt man zu den Plätzen, die schon in kurzer Zeit so vertraut sein werden, wie eine zweite Heimat – auch wenn daran im ersten Moment wohl schwer zu denken ist. Meistens erfolgt zunächst der Bezug der neuen Wohnung, dann das Kennenlernen der Arbeitsstelle und der Kollegen. Die Spanne der verschiedenen Tätigkeiten ist dabei sehr groß: IT-Lehrer an Schulen, Women Empowerment durch Mitarbeit in Frauengruppen, Arbeit mit natürlicher Medizin, Energiesparöfen, Solarenergie oder Ziegelsteinpressen, Ökotourismus, Baumzucht,… Die meisten Freiwilligen werden sich jedoch weitgehend mit ökologischen Projekten auseinandersetzen.

Glücklicherweise scheinen sich die meisten auf Anhieb recht wohl zu fühlen und somit wische ich mir erleichtert über die Stirn, als auch die letzten zwei Nachzüglerinnen in ihren Organisationen abgeliefert sind. Meine Arbeit in Uganda ist somit zwar noch nicht beendet (es gilt noch alte Freiwillige zu besuchen, neue Organisationen kennenzulernen und ein paar Problematiken zu klären), aber mit dem Wort Escort Service kann ich mich nun „leider“ nicht mehr betiteln.

Wie ist es also nun, als Escort Service für artefact? Wirklich anstrengend, vor allem durch die ganzen öffentlichen Transportmittel! Aber hauptsächlich bereichernd, spannend, interessant. Es ist schön zu sehen, wie verschiedene Charaktere sich unterschiedlich auf verschiede Situationen einlassen. Es bringt Spaß sich aufgrund dessen zu überlegen, wie das nächste Jahr wohl für jeden einzelnen verlaufen wird. Und im Geheimen wünsche ich mir, mit ihnen tauschen zu können und noch ein Jahr in diesem wunderschönen Land verbringen zu dürfen.

 

Marie Sprute, Grevelea Robusta u. Mitfreiwilliger Mariam Kroll-Fiedler

Marie Sprute, Grevelea Robusta u. Mitfreiwilliger Mariam Kroll-Fiedler

Weltwärts ist Begegnung und Wiederbegegnung auf den Straßen der Welt. Für viele solivol Teilnehmer_innen  nehmen die Afrikapläne nach dem Freiwilligenjahr erst so richtig Form an.  Lokal und global. Ehemalige engagieren sich  in Studiengängen mit entwicklungspolitischen Bezügen oder bringen ihre Erfahrungen in Nord-Süd Initiativen in der Nachbarschaft ein.  Das Engagement früherer Teilnehmer  bei der Vorbereitung neuer artefact Freiwilliger gibt den Ausreiseseminaren  eine ganz besondere Note.

Marie Sprute verbrachte Ihr  weltwärts Jahr von 2012 bis 2013 bei der artefact Partner Organisation Biogardens in Kabale / West Uganda. Als Erstbesetzung stellte die neue Umgebung und die Einsatzstelle  für Marie  eine außergewöhnliche  Herausforderung dar.  Nach ihrer Rückkehr ist Marie weiter auf der Suche nach dem Besonderen – begann ein Nachhaltigkeitsstudium in Bayern , reist bis in den äußersten Norden Deutschlands, um von ihren solivol Erfahrungen zu berichten und übernimmt als Escort Verantwortung für eine Gruppe von 15 Freiwilligen auf ihrem Weg in Uganda. Auch in den  kommenden Monaten wird Marie in unterschiedlichen Ecken der Welt unterwegs sein, um ihren einmal eingeschlagenen Weg weltwärts weiter zu verfolgen.