Was bisher geschah – Eindrücke aus Rumänien

Paula Mostert, Freiwillige in Sibiu 2020-21

rumänisch:Pauză

An dem Tag, an dem wir in Sibiu (Hermannstadt) ankamen, fuhren wir in die Stadt, um dort zu Abend zu essen. Nach ein paar Schwierigkeiten mit dem Parkautomat und einem rückwärtsrollenden Auto, hielten wir schließlich vor der Orthodoxen Kirche im Zentrum der Stadt. Das erste, was ich hörte, als ich mich endlich aus dem engen mit Koffern vollgestopften Auto gezwängt hatte, war Gesang. Jemand in der Kirche sang und die Melodie wurde mit Lautsprechern auf die Straße übertragen. Ich verstand kein einziges Wort, aber diese Stimme hieß mich in einer mir völlig fremden Welt willkommen. Innerhalb der nächsten Tage lernte ich die Stadt besser kennen, in der ich für die nächsten sechs Monate leben werde. Im Stadtzentrum stehen viele Kirchen und hohe, prachtvolle Häuser, die den großen Platz einrahmen. Die kleinen Gassen erinnern an eine italienische Kleinstadt mit verwinkelten Wegen und bunten Häusern. Überhaupt: Rumänien ist bunt. Sogar die kleinsten und baufälligsten Häuser leuchten in den verschiedensten Farben. Hermannstadt oder besser Sibiu wie man hier sagt, lädt geradezu dazu ein, ein bisschen länger zu verweilen und die kleinen Cafés und Läden auszukundschaften. Während der ersten Wochen blieb dafür leider keine Zeit zwischen Fahrradfahrten zu den verschiedenen Gärten der Kirchgemeinde, wo wir, meine Mitfreiwillige Katharina und ich, den Gärtner Catalin kennenlernten und den Hausbesuchen bei älteren Mitgliedern der Gemeinde, die uns herzlich begrüßten und gerne einen Teil ihres Lebens mit uns teilten. Die Eingewöhnungsphase war ein wenig turbulent, denn viele Fragen mussten wir uns selbst beantworten und unser neues Leben organisieren (Haushalt, Verpflegung, …etc.).
Innerhalb der ersten Tage wurden wir in den Chor eingegliedert. Bei Temperaturen knapp über Null probten wir draußen und sahen dem Himmel dabei zu, wie er langsam dunkler wurde, während eine riesige Schar von Vögeln über uns hinweg flog. Auch hinderten uns die bestehenden Corona – Regeln daran, die reiche Kultur der Stadt auszukosten. Bald wurden wir aber zu bekannten Gesichtern. Der ältere Mann, der in unserem lokalen Einkaufladen die Temperatur aller Kunden misst, begrüßte uns schnell lächelnd mit «Hello» auf Englisch und versuchte mit mir auf Rumänisch zu reden, als ich einmal allein einkaufte. Allerdings scheiterte unsere Konversation an meinem sehr brüchigen Rumänisch und seinem nicht vorhandenen Englisch. Aber ein Lächeln funktionierte dann um so mehr.

Permakultur Garten im Winter

In den nächsten Wochen diskutierte ich mit dem Gärtner Catalin über Corona, aß zum ersten Mal Cascaval (rumänischer Käse) und versuchte meinen Platz in der Kirchgemeinde zu finden, was immer wieder ein wenig herausfordernd war.
Die Gärten, die nach dem Permakultur Prinzip kultiviert werden, boten eine gute Abwechslung, besonders als ein lokaler Lockdown über Sibiu verhängt wurde. Jedes Mal, wenn ich mich vor die Tür begeben wollte, musste ich eine Deklaration bei mir tragen, in die der Name, Adresse und Grund des Ausgangs eingetragen waren. Die immer bessere Verbindung zu den Menschen erleichterte aber das Einleben und den Umgang mit dem Lockdown ungemein.
Bei einer Wanderung, die damit endete, dass wir durchgefroren und nass erst nach Sonnenuntergang zu unserem Ausgangsort zurückkehrten, während Freunde schon mit dem Auto nach uns suchten, lernten wir Maria und einen ihrer Freunde kennen. Paula, die Tochter des Stadtpfarrers, neben dem wir wohnen, fand sich eines Nachmittags durch eine kurzfriste Verabredung bei uns ein, um Plätzchen zu backen. Seitdem wird sie in unserer kleinen WG nicht mehr als Gast wahrgenommen, sondern viel mehr als drittes Mitglied unseres kleinen Zirkels, denn inzwischen verbringt sie fast jeden Abend bei uns. Spätestens als wir unter der Weihnachtsbeleuchtung der Stadt tanzten und den ein oder anderen verwirrten Blick auf uns zogen, war klar, dass wir eine wertvolle Freundin dazugewonnen hatten. Nur Katharina ist manchmal ein bisschen überfordert, wenn sie mit einer von uns reden will und auf ihr «Paula» sich zwei Gesichter zu ihr umwenden. Durch Paula erfahren wir viel über die Situation des Landes und die Politik. Als Aktivistin im Klimastreik fand ich schnell eine Ansprechpartnerin in ihr.
Foto BeschriftungIn ein paar Tagen ist auch hier Weihnachten. Selten haben wir bisher so viel zu tun gehabt wie in dieser Zeit. Verständlicherweise ist Weihnachten ein besonders wichtiges Fest in der Kirchgemeinde. Wir sind für die Planung und Ausführung eines digitalen Adventskalenders zuständig, mit der Hilfe von drei anderen Angestellten. Und auch die Bescherung für die Mitglieder der Kirchgemeinde vorzubereiten braucht seine Zeit. Wir verbrachten Stunden damit in Schellenberg, einer Außenstelle der Kirchengemeinde, die auch Menschen beherbergt, die allein nicht leben können, Lebkuchen zu backen. Abends sprangen fünf Kinder um uns herum und versuchten uns dazu zu bewegen mit ihnen zu tanzen oder wollten uns ihre Bilder zeigen. «Paula!» rief es aus der einen Ecke und aus der anderen folgte schon bald darauf ein «Katharina!». Wir waren heillos überfordert, aber irgendwie konnten wir uns mit Händen und Füssen doch noch verständigen. Nach einem traditionellen gemeinsamen Abendessen fielen wir an diesem Abend völlig geschafft ins Bett. Weitere lange Arbeitstage folgten, denn jedes Kind in der Kirchengemeinde und jedes ältere Gemeindemitglied sollte seinen eigenen kleinen Stoffsack gefüllt mit Lebkuchen, Nüssen, Schokolade, Kaffee oder heißer Schokolade bekommen.
Noch nie in meinem Leben war ich von so vielen neuen Eindrücken umgeben. Und obwohl nicht jeder Tag verständlicherweise nur Freude und gute Laune bringt, habe ich meine Entscheidung nach Rumänien zu gehen, bisher keinen Tag bereut.